GEHEIMNISVOLLES PALMA

 

Im Winter schaltet die Metropole Palma einen Gang zurück. Es ist die Zeit für Genießer, die mit Muße erleben und entdecken wollen: Patios und Paläste, die Schönheit der historischen Winkel und die guten Restaurants. Ein Stadtrundgang von Birgit Kahle.

Aufs kleinkindschwere Infopaket packt Francisca zu guter Letzt noch einen Stadtplan. Die freundliche Mitarbeiterin von Ibatur verabschiedet sich bis übermorgen – bis dahin will das komplette Material über Palmas Altstadt durchgeackert, besser noch, erwandert sein. Man will ja schließlich die richtigen Fragen stellen.

Gebückt unter der Last an Wissen und mittäglicher Schwüle wanke ich ins „Cafe Lirico“. Laut Francisca zählt die Bar seit hundert Jahren zu Palmas beliebtesten Treffpunkten und bietet die Wahl zwischen 20 verschiedenen Kaffeesorten. Ich ordere einen cortado con hielo, in der Hoffnung, dass spanischer Espresso mit Eiswürfeln verbrauchte Energie sofort zurückbringt. Der Stadtplan zählt mich schon in der ersten Runde mit 30 Kirchen an. Die weltberühmte Kathedrale La Seu nicht mitgerechnet. Das kann ja heiter werden.

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Restaurant“Todo bien?“ fragt mich der Kellner besorgt. Der Mann ist ganz blütenweiß gestärkter Service und von einer Effizienz, die das Vorurteil dem Spanier nicht zubilligt. Ich nicke matt und offenbar wenig überzeugend: Unaufgefordert bringt er mir leche merengada, einen tiefgekühlten Milchmix, der nach Zimt und Limonen schmeckt und der mich erfrischt, als wäre ich gerade von einer Schlafkur erwacht.

„Mi madre!“ Ein mißbilligender Blick trifft den Literaturhügel auf meinem Tischchen, ein zweiter geht gen Himmel. Es sei halb zwei Uhr Nachmittag, heiß wie im Fegefeuer und definitiv keine Zeit für Hirnarbeit, empört sich Xavier, mein sorgender Kellner. Beherzt nestelt er den Füller aus meinen Fingern, macht ein paar wortreiche Kreuzchen auf dem Altstadtplan und beschließt, ich solle jetzt erstmal für zwei Stunden den Ballast in seine Obhut geben: „Mach einfach die Augen auf und rede mit den Leuten!“ Ich gebe keine Widerworte, trinke meine Milch aus und laufe los.

Eine Viertelstunde später tritt Plan B in Kraft: Dem Biorhythmus der Altstadt ist nicht mit der Enzyklopädie beizukommen, schon gar nicht im Juli. Statt dessen schlendere ich den Paseo Borne entlang, einer schattigen Flanierpromenade mit steinernen Ruhebänken, um diese Tageszeit nur spärlich belebt. Palma schläft. Die Geschäfte trotzen mit eisernen Rolläden jeder noch so eiligen Kundschaft. Eine Blumenhändlerin döst neben gelben Rosen ohne Angst um ihre Ware.

Früher, so hatte mir Xavier beim Kreuzchenmachen erzählt, war der „Borne“ die Keimzelle der berühmtesten Cafes der Stadt. In den Jahrzehnten der Franco-Ära verdrängten Banken die politisch unerwünschten Treffpunkte von Intellektuellen und Künstlern. Von all den Klassikern der frühen Jahre ist nur die Bar Bosch geblieben – eine Institution, die 1996 ihren sechzigsten Geburtstag feiert. Vom Neonschriftzug über dem Eingang bis zum Tresen: Mehr als ein halbes Jahrhundert unmodernisiert traf das Bosch bis heute stets den jeweiligen Zeitgeist. Hier, am lärmenden Placa Rei Juan Carles, perlt aus Springbrunnen die Illusion von Kühlung. Wäre es schon fünf Uhr, könnte man in die exklusive Welt der Einkaufsmeile Jaime III eintauchen …

Aber ich sitze bereits wieder in einem betagten Korbstuhl, gönne mir einen weiteren cortado und versuche die Gespräche der Nachbartische zu belauschen. Fehlanzeige. Kein deutsch, kein englisch. Man spricht mallorquin, was mir wiederum absolut spanisch vorkommt, denn ich verstehe nur castellano. Wo sind bloß die 11 Millionen Touristen (!), die jedes Jahr auf Palmas Flughafen landen? „Am Strand.“

Mallorquiner Mein Nachbar zur Linken ist Taxifahrer und kennt sich aus in menschlichen Gewohnheiten. Seit 25 Jahren kommt er jeden Mittag ins Bosch. Er hebt die hiesigen Boquadillos und mißversteht meine Frage nach den zwei Rosados, die er dazu trinkt. Nein, mittags tränke er nur Rose, erst abends im Kreise der Familie, ginge er zu Rotwein über. Ehe ich widersprechen kann, hat er für mich auch ein Glas bestellt. Mir zuliebe spricht er castellano. Ausländern verzeiht man in Palma fast alles. Nur nicht Ballermann 6. Xavier aus dem Lirico wäre stolz auf mich: Nach gut zweihundert Metern sightseeing bin ich schon ganz entspannt in Palmas Hier und Jetzt. Selber schuld, wer jetzt lieber in Arenal in der Sonne schmort.

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„Das Schönste an Palma sind ihre Patios“, hatte Francisca mir mit auf den Weg gegeben. Ihre Patios, denn La Palma ist eine zurückhaltende alte Dame. Patio in Palma Vor einem schmiedeeisernen Gitter in der Can Savella wünsche ich mir nichts sehnlicher als dahinter, in diesem friedlich-schattigen Innenhof, eine kleine Siesta zu halten. Doch in Palma sind, wie überall auf Mallorca, nahezu alle historischen Bauten und Kulturgüter in Privathand. Hinter verschlossenen persianas, den typischen Fensterläden, lebt man zurückgezogen, aber mit Komfort. Man zeigt nicht, was man hat. Nur wer sich ein Bild davon macht, was es kostet, jahrhundertealte Fassaden und Patios in einem solch makellosen Zustand zu erhalten, der ahnt, daß hinter den dicken Sandsteinmauern keine armen Leute wohnen. Oft sind es alte mallorquinische Familien, Geschäftsleute, die wie ihre Vorfahren den Sommer auf dem Land, den Winter in den Stadtvillen von Palma verbringen. Innerhalb der letzten 15 Jahre haben sich auch gutbetuchte forasteros, Festlandspanier und Ausländer hier eingekauft. Das mag nicht jedem gefallen – den alten Gemäuern hat die Peseten-Schwemme jedenfalls gut getan. Wer die Altstadt durchstreift, der sollte also immer auch die Privatsphäre respektieren, die sich hinter der Melange aus Renaissance und Mittelalter verbirgt.

Wie viele anderen Stadtpaläste, deren Patio zum Gegenstand touristischen Interesses wurden, kam auch Can Oleza in der Calle Morey ursprünglich ohne eiserne Gitter aus. Blaz Martinez, seit 33 Jahren der gute Geist des Hauses Oleza, erweist mir die große Ehre einer kleinen Führung und eines sehr persönlichen Interviews. „Viele Leute glauben, daß Can Oleza ein öffentliches Gebäude oder ein Museum ist. Sie standen früher andauernd im Hof und fragten nach den Öffnungszeiten. Naja, das war höchstens etwas lästig, denn eigentlich freut es uns ja, dass so viele Menschen auf unser schönes Haus aufmerksam werden. Bis vor drei Jahren jemand die eisernen Lampen der Patio gestohlen hat – da ließ Senor Oleza die Tore einbauen.“ Auch die alten Holzeimer der Hofzisterne wurden Opfer von Vandalismus. Seit Blaz sie zertrümmert auf der Straße fand, ist der Brunnen nur noch amputiertes Zierstück. 19 Jahre lang hat er hier zusammen mit seiner Frau gewohnt. Platz genug wäre für Dutzende von Angestellten. „Zu Anfang war mir das riesige Haus mit seinen vielen Räumen und den schweren dunklen Möbeln richtig unheimlich“, erinnert sich Blaz an die Anfänge seiner Dienste.

Heute teilen sich drei Schwestern der Familie das riesige Gebäude; ein weiterer Trakt ist an einen wohlhabenden Mann vergeben, der zwar seit 30 Jahren pünktlich die Miete zahlt, aber seit acht Jahren nicht mehr gesichtet wurde. Patio in Palma Kutschräder haben über die Jahrhunderte ihre Spuren im steinernen Boden des Patio hinterlassen: halbmondfönnige Furchen, die direkt vor der großen Treppe enden. Wenn ich die Augen zusammenkneife, sehe ich Edelfräulein mit gerafften Reifröcken und bestickten Fächern aus dem Wagen steigen, gestützt von der Hand des Hausdieners … „Pferde gibt es hier schon seit 80 Jahren nicht mehr“, kommentiert Blaz meine Tagträume. „Ich nutze die Stallungen als Werkstatt.“ Schade. „Aber man könnte das originalgetreu nachstellen“, sinniert er. „Die Senoras bewahren im Obergeschoß Kleider ihrer Familie aus über 150 Jahren auf.“ Was würde ich da gern einmal Mäuschen spielen! (Moment: Wie war das noch mit der Privatsphäre?)

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Städte verändern ihr Gesicht mit den Menschen, die sie beherbergen. Wohlgesinnte ehren das Erbe ihrer Vorgänger, andere vernichten deren Spuren fahrlässig oder gar mit Akribie. Das ist überall auf der Welt so, und Palma ist da keine Ausnahme. Über drei Jahrhunderte herrschten die Araber auf den Balearen, lange genug, um der Hauptstadt einen maurischen Touch zu verleihen. Doch von den geschätzen 180 Stadthäusern und -palästen existieren nicht einmal mehr Ruinen. Einsame Zeugen dieser Epoche sind die Banys Arabes aus dem 10. Jahrhundert in der Calle Serra. Das Saunarium mit seiner kuppelförmigen Decke war wie der sich anschließende Garten Teil eines bedeutenden arabischen Palastes. Als „großes Glück, aber auch eine ebenso große Verantwortung“ empfindet es Jose Francesco Espana, Sohn der jetzigen Besitzerin, Erbe eines historischen Schatzes zu sein. Arabische Sowohl die Bäder als auch das imposante Vorderhaus sind seit 1647 im Besitz seiner Familie. Die Banos nutzte man als Stallungen.

Erst Anfang unseres Jahrhunderts drängte sich ins Bewußtsein, daß man auf einem bedeutenden Kulturschatz hockte, den es zu pflegen galt. Jose ist eigentlich Agrar- Ingenieur und teilt sich die Aufgabe mit zwei Brüdern. Kein leichter Job: Erhalt und Renovierung 1000jähriger Gemäuer verschlingen Summen, die weder mit Eintrittsgeldern noch mit redlicher Arbeit zu verdienen sind. Staatliche Unterstützung ist minimal. Also bleiben die Bäder wie sie sind, auch wenn schon lange eine einjährige Restaurierung nötig wäre. Daher die dringende Bitte an Besucher: Ansehen – ja gerne! Anfassen – bitte nicht!

Mit Finanzproblemen hat Francisco Coll Buche, Konventsvorstand im Kloster San Francisco, wohl weniger zu kämpfen, auch wenn seine Kirche mitsamt ihrem großartigen Säulengang und ihrer atemberaubenden Basilika ebenfalls auf maurischen Grundmauern ruht. Nicht nur der ehrwürdige superior del convento ist durchaus weltlich eingestellt. San Francisco lebt durch und mit der Schule, die in seinen Mauern untergebracht ist. Subventionen und die dankbaren Beiträge von Ehemaligen halten Gebäude und Konvent am Leben. Der stille Kreuzgang ist ein wunderbarer Ort für müde Stadtstreifer (falls nicht gerade 1400 Schüler große Pause haben). Bei so viel Lebendigkeit ist schwer vorstellbar, dass die Klosterkirche 1490 Schauplatz eines Gemetzels war, an deren Anfang der unachtsam ausgelehrte Wassereimer einer Magd war und am Ende 300 tote Adlige den Boden der Basilika bedeckten.

Unmengen lebendiger Geschichte und so wenig Zeit! Am Tage 3 nach Paketübergabe treffe ich Francisca in der Tapa-In-Bar La Boveda. Meine touristische Erschöpfung überrascht sie nicht. „Eine halbe Woche Palma ist halt ein bißchen wenig“, sagt sie zwischen zwei chipirones, kleinen frisierten Tintenfischen. Wie wahr! Ich ergebe mich meinem erklärten Lieblingstapa datiles con bacon und einem Glas eisigen Weißwein. („Wir Mallorquiner trinken nicht, ohne zu essen. Oder umgekehrt.“ – Eine der vielen Weisheiten des Taxifahrers von vorgestern.) So wohlig matt habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich könnte hier noch Wochen verbringen.

Alstadt, Karte“Die Altstadt läßt einen nicht mehr los“, weiß auch Fernando. ein Zugereister, der noch einen anderen gewichtigen Grund für seine Liebe zu Palma hat: Der Architekt aus Barcelona renoviert mit großem Erfolg alte Stadthäuser und verkauft sie an zahlungskräftige forasteros. Von ihm erfahren wir, dass die Altstadt nahezu komplett untertunnelt ist.

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Ein Wirrwar von Kanälen, begonnen in Römerzeit, später genutzt von den vielen Gerbern der Stadt, die ihre Laugen darin entsorgten, so dass selbst die Kollegen in den ärmeren Vierteln davon profitierten. Fernando Palazuelo, Inhaber der Firma Arte Express, sieht einen Altstadt-Boom: „Die jungen Mallorquiner beginnen den Wert einer intakten historischen Altstadt zu begreifen und lassen sich bevorzugt hier nieder.“ Detailbesessen restauriert Fernando die Altstadthäuser. Die Fassaden, im gelblichen Farbton wie einst, die Persianas (Blendläden), bitte im Original blaugrün. Angewidert zeigt er auf grasgrüne Persianas: „Ist das nicht grauenvoll?“ Die größte Sorge des Geschäftsmanns Fernando: „Daß wir bei unseren Arbeiten einmal historische Scherben oder ähnliches entdecken.“ Ich schau ihn ratlos an. Fernando: „Wir müßten den Bau stillegen.“

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